Mit einer öffentlichen Ehrung und unter dem Motto „Menschenrechte von oben und von unten“ wird Linda Rennings und Gerhard Baum im Rahmen einer Matinee am Sonntag, dem 4. Juni ab 12 Uhr im Gürzenich die alternative Kölner Ehrenbürgerwürde verliehen. Der Eintritt ist frei.
Der andere Ehrenbürger Gerhard Baum
Zur Welt gekommen in den letzten Tagen der Weimarer Republik erlebte er als Jugendlicher die Zerstörung seiner Geburtsstadt Dresden und fand später in Köln seine neue Heimat. 10 Jahre Kreisvorsitzender der FDP und im Stadtrat für seine Partei bis 1972, als Bundesinnenminister an der Inneren Kanalstraße, bis heute Mitglied im Rundfunkrat. Ein hochgebildeter Bürger, der sich im Kulturrat der Stadt und des Landes ebenso engagiert wie für den Förderverein des „Vringstreff“, dem Hilfs- und Beratungsangebot für Wohnungslose im Severinsviertel. Als meinungsfreudiger Menschenrechtler wird er von den Medien gerne zitiert. Hat aber kein Zeitungs-Abo. Der 90-Jährige geht jeden Morgen von seiner Altbauwohnung den Ubierring entlang zur Zeitungsfrau am Chlodwigplatz. Beim Lesen entfacht dann täglich neu die Flamme der Leidenschaft, die seine unermüdliche Lust am Einmischen befeuert. Andere Rentner fliegen in die Karibik. Dieser Kölner fährt nach Karlsruhe und erstreitet dort mit Verbündeten erfolgreich Verfassungsbeschwerden gegen den legalisierten Lauschangriff, gegen Onlinedurchsuchungen oder unzählige Details von BKA-Gesetzen. So wurde der Linksliberale nach dem Abschied von der Bundespolitik zu einem gerichtserfahrenen Streiter für Freiheit und Menschenrechte, einem engagierten Bürger seiner Stadt und ein Vorbild für Viele. Diesem Kölner sollte die Domstadt mit Stolz Ehre erweisen. Er ist zwar in der FDP, aber hochanständig!
Die andere Ehrenbürgerin Melissa Linda Rennings – Die kölsche Linda
Sie kam 1963 als uneheliches Kind zur Welt. Hatte einen Vater, der sich noch vor ihrer Geburt davonmachte und eine Mutter, die wenig Interesse zeigte am Wohlergehen der Tochter. Ihre Kindheit war kurz. Einzig die Großmutter gab ihr Halt. Die Schulzeit endete mit der Mittleren Reife und dem Eintritt in ein Ausbildungsverhältnis. Da war sie sechzehn und lebte in einer eigenen kleinen Wohnung. Dann starb die Großmutter.
Zweimal war sie verheiratet. Zweimal mit gewalttätigen Männern. Sie arbeitete, sorgte für den Unterhalt und wurde geschlagen; das zehrte an ihrer Substanz. Auch die zweite Ehe zerbrach und als sich psychische Probleme mehrten, verlor sie erst den Job, dann die Wohnung und rutschte in eine Psychose. Mit vierzig Jahren war sie völlig aus der Bahn geworfen und mittellos. Sie lebte versteckt auf dem Friedhof, auf dem ihre Großmutter begraben ist.
Über fünf Jahre war sie auf der Straße, bekam zuweilen Spenden, klaute, hungerte. Hartnäckig verweigerte sie Hilfe, bis sie krank wurde und zuletzt über den Sozialdienst katholischer Frauen einem Arzt vorgestellt wurde, der sie sofort in die Psychiatrie einwies. Nach vielen Monaten reife ihr Entschluss, wieder selbstbestimmt und eigenständig leben zu wollen. Therapien und Selbsthilfegruppen halfen ihr dabei, sich zu stabilisieren und eine Perspektive zu finden. Linda Rennings setzte sich als Ziel, sich für die Nöte und die Sichtbarkeit obdachloser Frauen einzusetzen, da diese besonders körperlicher und sexueller Gewalt ausgeliefert sind. Zuspruch und Ermutigung erhielt sie u. a. durch ihre Mitwirkung bei der Kölner Straßenzeitung „Draußenseiter“. Schließlich ließ sie sich zur EX-IN Genesungsbegleiterin ausbilden, einem Programm, das Menschen etwa mit Psychiatrieerfahrung dafür qualifiziert, andere Betroffene zu unterstützen und zu begleiten.
Sie selbst, die seit 2011 wieder in einem eigenen Zuhause lebt, beschließt, mit diesem Abschluss nicht in einer Klinik, sondern dort zu arbeiten, wo sie sich auskennt: auf der Straße. So baut sie ein Hilfsangebot für wohnungslose Menschen und speziell für Frauen auf. Immer an ihrer Seite ist ihr Hund Clayd. Für viele Obdachlose ist ihr Hund gleichsam Schutz und emotionaler Anker. Auch dafür wirbt Linda Rennings um Verständnis. 2014 gründet sie den Verein HIK – „Heimatlos in Köln“ zur Betroffenenhilfe. Die Szene hat Vertrauen zu ihr, wenn sie als Streetworkerin am Wiener Platz aktiv ist, Essen verteilt, Leute berät und im Notfall fast rund um die Uhr ansprechbar ist. Ihr Engagement hilft, gibt Trost und zugleich Hoffnung, dass es möglich ist, sich aus den eigenen Abgründen und dem gesellschaftlichen Abseits wieder ins Leben zurückzukämpfen. Dafür, dass sie ihre Krisenerfahrungen heute zum Wohl anderer einsetzt, zollt ihr das Komitee mit der alternativen Ehrenbürgerwürde Respekt und Anerkennung.
Menschenrechte – Von oben und von unten
- Alternative Ehrenbürgerschaft Köln
- Matinee mit anschließendem Umtrunk und Gespräch. Eintritt frei.
- Sonntag, 4. Juni 2023, 12 Uhr im
- Gürzenich, Martinstraße 290
- Moderation
- Martin Stankowski
- Impuls
- Jürgen Becker
- Wort zum Sonntag
- Franz Meurer
- Günther Wallraff
- Laudatio
- Helge Malchow
- Gespräch
- Anke Bruns mit
- Linda Rennings und
- Gerhard Baum
- Worte
- Klaus Jünschke
- Christina Bacher
- Du bes Kölle – Tommy Engel
- Reentje Streuter
- Bläser
- Achim Fink
- Talking Horns
- Andreas Gilgenberg
- Stefan Schulze
- Bernd Winterschladen