Zugang schaffen für alle
Artikel von Andreas Schäfer / mit freundlicher Genehmigung von showcases, dem Magazin für die Event- und Unternehmenskommunikation
Inklusion heißt, Kultur und Events für alle zugänglich zu machen. Und das von allen Seiten. Also vor und auf der Bühne und auch in den organisatorischen Strukturen. Wie sieht es darum aus und was muss noch getan werden? Fragen, die wir vier Expert:innen stellten.
Silke Pan ist Artistin und das ist sie auch noch nach einem Unfall, der sie in den Rollstuhl zwang. Mit Handstandartistik begeistert sie in den Manegen Europas. Gerade steht Zirkus in Italien an. Elisabeth Plum ist ebenfalls Rollstuhlfahrerin. Sie konzentriert sich in ihrem Beruf auf das Wirken hinter den Kulissen: Sie ist Agentin der Kabarettisten Jürgen Becker und Konrad Beikircher. Der in Wien lebende Regisseur und Choreograf Giorgio Madia inszeniert nicht nur Ballett und die große Oper, sondern auch die »Parieté-Gala« mit behinderten und nichtbehinderten Artistinnen.Michael Pigl ist Gründer des inklusiven Circus Sonnenstich in Berlin und Mitgründer des Zentrum für bewegte Kunst, das auch ein guter Partner für Events ist.
Wie beurteilst Du die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung in Film, Fernsehen und auf Bühnen?
GIORGIO MADIA: Ich kann die Aufführungen, die ich auf der ganzen Welt gesehen habe und in denen Inklusion in Mainstream-Theatern gezeigt wird, an einer Hand abzählen. Der wunderbare Thomas Quasthoff und einige andere in den Hauptrollen bleiben aber Randfiguren. Weit davon entfernt, ähnlich wie bei der »Geschlechterquote« für Behinderungen eine gesetzliche Quote zu fordern, sollten sie meiner Meinung nach dennoch mindestens so oft dargestellt werden, wie sie in der Gesellschaft existieren. In meiner persönlichen Perspektive, eine kreative Sicht, spielt die Einzigartigkeit eine herausragende Rolle. Die faszinierenden Entdeckungen, die ich in den letzten Jahren beim Schaffen von Inklusionstheater mit Künstlerinnen und Künstlern unterschiedlicher Fähigkeiten gemacht habe, inspirieren und motivieren mich.
SILKE PAN: Bei einer ersten Begegnung mit behinderten Künstlerinnen und Künstlern gibt es oft eine gewisse Spannung. Das liegt wahrscheinlich daran, dass man die Behinderung dieser Person nicht kennt und dann vielleicht mit etwas Furcht oder Abneigung reagiert. Ich denke aber, dass die Öffentlichkeit oder die Medien intelligent genug sind, um das Talent von Künstlerinnen und Künstlern zu erkennen, unabhängig davon, ob eine Behinderung vorliegt oder nicht. In erster Linie müssen Künstlerinnen und Künstler ja durch ihr Können und ihre Ausstrahlung überzeugen. Allerdings sind manche Talente aufgrund einer Behinderung sublimiert und durch die Überwindung der Behinderung können starke Emotionen geschaffen werden. Die Zuschauenden genießen es auch, den Kampf, die Willenskraft und die Entschlossenheit der Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung zu sehen.
ELISABETH PLUM: Sagen wir mal so, es gibt heute mehr behinderte Menschen im Film und auf Bühnen. Wer den Münsteraner Tatort liebt, für den ist Kleinwüchsigkeit quasi eine normale Spielart des menschlichen Seins geworden, so selbstverständlich und kompetent agiert die Rechtsmedizinerin Silke Haller (gespielt von ChrisTine Urspruch) neben dem eitlen Pathologie-Professor Boerne (Jan Josef Liefers). Auch Tan Çağlar ist als Comedian bundesweit unterwegs und als erster rollstuhlnutzender Fernseharzt in der populären TV-Serie »In aller Freundschaft« ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Das sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass behinderte Menschen auf Bühnen und in Fernsehstudios prozentual viel seltener zu sehen sind – gemessen an der Anzahl in der Bevölkerung. Da sind es dann doch noch ein paar Schritte zur gleichberechtigten Teilhabe.
MICHAEL PIGL: Die Special Olympics World Games waren für mich in diesem Sommer eine wunderbare Vorlage. Insbesondere der Fernsehsender Sky war für mich ein Vorbild: Die Berichterstattung lag vollkommen selbstverständlich in den Händen eines Tandems von einem Menschen mit und einem Menschen ohne Behinderung, das gemeinsam die Sportveranstaltungen kommentiert hat. Damit sind unterschiedliche Kompetenzen und Sichtweisen ganz selbstverständlich und gleichzeitig sehr unterhaltsam zusammengeflossen. Was für eine Lebendigkeit! Das kann beispielhaft für die Zukunft sein. Was sind die wichtigsten Schritte für den Zugang des Publikums?
ELISABETH PLUM: Es ist langweilig, es immer zu wiederholen, aber: Rampen und Aufzüge, Rollstuhltoiletten, taktile Leitsysteme für Blinde, Induktionsschleifen für Hörgeschädigte in Veranstaltungsstätten und Untertitel im Kino sind wichtige Schritte zur Inklusion. Mindestens genauso wichtig finde ich aber das Mindset. Wird echte Teilhabe wirklich angestrebt? Dann darf man zum Beispiel nicht Rollstuhlplätze mit nur einer Begleitperson definieren, sondern man akzeptiert, dass auch Rollstuhlfahrer: innen mit mehreren Freunden eine Veranstaltung besuchen und zusammensitzen möchten. Und wenn der Aufzug kaputt ist, trägt man auch mal einen Rollstuhl hoch. Fast alles ist möglich, wenn viele es wollen.
Barrierefreiheit in jeder Hinsicht: in Bezug auf die Architektur und besonders auch bei der Kommunikation. Da müssen konsequent neue Wege beschritten werden. Was sind die wichtigsten Schritte für die Inklusion auf Bühnen, vor der Kamera und auf der Leinwand?
GIORGIO MADIA: Auch wenn es auf der Leinwand etwas besser ist als im Theater, liegt die Sichtbarkeit inklusiver Darstellerinnen und Darsteller in den Händen der Regisseur:innen und Produktionsfirmen. Teilweise schlagen sie selbst ihre Vision vor, teilweise gehen sie auf die Nachfrage des Publikums ein. Wir hatten das Glück, uns bei der gemeinnützigen Organisation VIA Berlin zu treffen, die als Institution beschließt, in inklusive Kunst zu investieren, um mit meiner Hilfe eine Botschaft zu vermitteln, die sich alle zu Herzen nehmen sollten.
ELISABETH PLUM: Hier gilt dasselbe wie für die Inklusion im Publikum. Viele Bühnen, Theater und Fernsehstudios sind nicht barrierefrei und mit dieser Begründung werden behinderte Schauspielerinnen und Schauspieler immer wieder abgelehnt, weil der »Betreuungsaufwand« zu groß sei.
MICHAEL PIGL: Menschen mit Behinderungen und diversen Lebenshintergründen müssen selbstverständlich in Film- und Fernsehrollen mitbesetzt werden. Und zwar nicht mit dem Fokus, dass sie »trotz besonderer Einschränkungen« ihr Leben meistern, sondern kraft ihrer Persönlichkeit ihren Lebensweg gehen. Und auch nicht – wie es leider immer noch oft passiert – dafür herhalten müssen, um mit Positiv-Stereotypen wie die von stets gut gelaunten Down-Syndrom-Menschen, unempathische, verknöcherte Menschen zu retten. Herausragend ist für mich die argentinische Serie »1 Meter 20«, die in sechs Teilen der 17-jährigen Hauptdarstellerin Juana folgt, die ganz frei und aktiv ihre Sexualität erleben will. Dabei lässt sie sich nicht behindern – auch nicht von ihrem Rollstuhl. Gleichzeitig engagiert sie sich schulpolitisch im Kampf um Sexualkundeunterricht. Aus der Perspektive einer jungen Frau werden die Zuschauenden auf eine selbstverständliche Reise zu den Themen Inklusion, diverse Körperbilder, einvernehmlicher Sex und Selbstfindung mitgenommen. Ein wunderbarer Selbstermächtigungsprozess!
SILKE PAN: Inklusion bedeutet nicht, dass Künstlerinnen und Künstler, die ein durchschnittliches Niveau haben, als besonders dargestellt werden, nur weil sie eine Behinderung haben. Die Schwierigkeit für Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung ist die gleiche wie für Nichtbehinderte: Sie müssen den Stil und die Performance finden, die den Erwartungen der Regie entsprechen, um damit die Qualität der Aufführung oder des Films zu erhöhen. Ein Regisseur oder eine Regisseurin wird Künstlerinnen und Künstler engagieren, wenn er bzw. sie an ihnen ein Interesse findet. Daraufhin wird man Lösungen suchen, um Zugänglichkeit zu schaffen, falls die Behinderung der Künstlerinnen oder Künstler dies erfordert.
Welche gesellschaftlichen und politischen Forderungen stellst Du?
SILKE PAN: Die Zugänglichkeit sollte kein Hindernis mehr sein. Wenn eine Direktion an den Qualitäten einer Künstlerin oder eines Künstlers mit Behinderung interessiert ist, sollte diese in diesem Moment Barrierefreiheit herstellen können. Wenn man die Inklusion fördern will, sollte man die Unternehmer:innen nicht entmutigen, indem man sie alleine lässt. Man sollte ihnen Lösungen zur Verfügung stellen, um Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung einstellen zu können.
ELISABETH PLUM: Der Abbau diskriminierender Vorschriften der Versammlungsstättenverordnung wäre ein Punkt. Die Umsetzung des Artikel 30 der UN-Behindertenrechtskonvention zur kulturellen Teilhabe. Dieser Artikel ist seit dem 26. März 2009 geltendes Recht in Deutschland. Hier geht es um die Auflösung der Unterscheidung von Betroffenen (Menschen mit Behinderung) und Nichtbetroffenen (Menschen ohne Behinderung), denn Inklusion kann allen nutzen.
GIORGIO MADIA: Eine stärkere institutionelle finanzielle Unterstützung würde die »gläserne Decke« durchbrechen, sodass in Zukunft gar keine Unterstützung mehr notwendig wäre, wenn die Praxis zur Selbstverständlichkeit wird.
MICHAEL PIGL: Der Name Sonnen-STICH ist Programm. Die Artistinnen und Artisten fordern mit Humor und großem Ernst ihre Rechte ein. Sie wünschen sich RESPEKT – und definieren das mit großer inhaltlicher Tiefe und Weisheit von ihren eigenen Worten. Und sie sehen sich als STICH für die Gesellschaft. Sie wissen um ihre Rechte – auf Bildung, Beruf, Anerkennung und Mitgestaltung. Zentral ist die räumliche und finanzielle Ausstattung von Bildungs- und Kulturinstitutionen, die es ermöglicht, dass alle Menschen einen Schulabschluss und eine Ausbildung entlang ihrer Potenziale und Kompetenzen machen können. In unserem Zentrum für bewegte Kunst sind wir mit dem Projekt »Die Bewegungsbotschafter« mitten in der Durchführung eines vierjährigen beruflichen Qualifizierungsmodells für Menschen mit Trisomie 21. Dabei stehen wir kurz davor, einer 25-jährigen Artistin mit Trisomie 21 bereits ab Oktober 2023 eine feste Arbeitsstelle auf dem ersten Arbeitsmarkt einzurichten. Und wir arbeiten daran, für weitere Sonnenstich-Artist:innen Arbeitsplätze in unserem Zentrum für bewegte Kunst zu schaffen.
Silke Pan ist Artistin und das ist sie auch noch nach einem Unfall, der sie in den Rollstuhl zwang. Mit Handstandartistik begeistert sie in den Manegen Europas. Gerade steht Zirkus in Italien an. Elisabeth Plum ist ebenfalls Rollstuhlfahrerin. Sie konzentriert sich in ihrem Beruf auf das Wirken hinter den Kulissen: Sie ist Agentin der Kabarettisten Jürgen Becker und Konrad Beikircher. Der in Wien lebende Regisseur und Choreograf Giorgio Madia inszeniert nicht nur Ballett und die große Oper, sondern auch die »Parieté-Gala« mit behinderten und nichtbehinderten Artistinnen.Michael Pigl ist Gründer des inklusiven Circus Sonnenstich in Berlin und Mitgründer des Zentrum für bewegte Kunst, das auch ein guter Partner für Events ist.
Wie beurteilst Du die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung in Film, Fernsehen und auf Bühnen?
GIORGIO MADIA: Ich kann die Aufführungen, die ich auf der ganzen Welt gesehen habe und in denen Inklusion in Mainstream-Theatern gezeigt wird, an einer Hand abzählen. Der wunderbare Thomas Quasthoff und einige andere in den Hauptrollen bleiben aber Randfiguren. Weit davon entfernt, ähnlich wie bei der »Geschlechterquote« für Behinderungen eine gesetzliche Quote zu fordern, sollten sie meiner Meinung nach dennoch mindestens so oft dargestellt werden, wie sie in der Gesellschaft existieren. In meiner persönlichen Perspektive, eine kreative Sicht, spielt die Einzigartigkeit eine herausragende Rolle. Die faszinierenden Entdeckungen, die ich in den letzten Jahren beim Schaffen von Inklusionstheater mit Künstlerinnen und Künstlern unterschiedlicher Fähigkeiten gemacht habe, inspirieren und motivieren mich.
SILKE PAN: Bei einer ersten Begegnung mit behinderten Künstlerinnen und Künstlern gibt es oft eine gewisse Spannung. Das liegt wahrscheinlich daran, dass man die Behinderung dieser Person nicht kennt und dann vielleicht mit etwas Furcht oder Abneigung reagiert. Ich denke aber, dass die Öffentlichkeit oder die Medien intelligent genug sind, um das Talent von Künstlerinnen und Künstlern zu erkennen, unabhängig davon, ob eine Behinderung vorliegt oder nicht. In erster Linie müssen Künstlerinnen und Künstler ja durch ihr Können und ihre Ausstrahlung überzeugen. Allerdings sind manche Talente aufgrund einer Behinderung sublimiert und durch die Überwindung der Behinderung können starke Emotionen geschaffen werden. Die Zuschauenden genießen es auch, den Kampf, die Willenskraft und die Entschlossenheit der Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung zu sehen.
ELISABETH PLUM: Sagen wir mal so, es gibt heute mehr behinderte Menschen im Film und auf Bühnen. Wer den Münsteraner Tatort liebt, für den ist Kleinwüchsigkeit quasi eine normale Spielart des menschlichen Seins geworden, so selbstverständlich und kompetent agiert die Rechtsmedizinerin Silke Haller (gespielt von ChrisTine Urspruch) neben dem eitlen Pathologie-Professor Boerne (Jan Josef Liefers). Auch Tan Çağlar ist als Comedian bundesweit unterwegs und als erster rollstuhlnutzender Fernseharzt in der populären TV-Serie »In aller Freundschaft« ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Das sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass behinderte Menschen auf Bühnen und in Fernsehstudios prozentual viel seltener zu sehen sind – gemessen an der Anzahl in der Bevölkerung. Da sind es dann doch noch ein paar Schritte zur gleichberechtigten Teilhabe.
MICHAEL PIGL: Die Special Olympics World Games waren für mich in diesem Sommer eine wunderbare Vorlage. Insbesondere der Fernsehsender Sky war für mich ein Vorbild: Die Berichterstattung lag vollkommen selbstverständlich in den Händen eines Tandems von einem Menschen mit und einem Menschen ohne Behinderung, das gemeinsam die Sportveranstaltungen kommentiert hat. Damit sind unterschiedliche Kompetenzen und Sichtweisen ganz selbstverständlich und gleichzeitig sehr unterhaltsam zusammengeflossen. Was für eine Lebendigkeit! Das kann beispielhaft für die Zukunft sein. Was sind die wichtigsten Schritte für den Zugang des Publikums?
ELISABETH PLUM: Es ist langweilig, es immer zu wiederholen, aber: Rampen und Aufzüge, Rollstuhltoiletten, taktile Leitsysteme für Blinde, Induktionsschleifen für Hörgeschädigte in Veranstaltungsstätten und Untertitel im Kino sind wichtige Schritte zur Inklusion. Mindestens genauso wichtig finde ich aber das Mindset. Wird echte Teilhabe wirklich angestrebt? Dann darf man zum Beispiel nicht Rollstuhlplätze mit nur einer Begleitperson definieren, sondern man akzeptiert, dass auch Rollstuhlfahrer: innen mit mehreren Freunden eine Veranstaltung besuchen und zusammensitzen möchten. Und wenn der Aufzug kaputt ist, trägt man auch mal einen Rollstuhl hoch. Fast alles ist möglich, wenn viele es wollen.
Barrierefreiheit in jeder Hinsicht: in Bezug auf die Architektur und besonders auch bei der Kommunikation. Da müssen konsequent neue Wege beschritten werden. Was sind die wichtigsten Schritte für die Inklusion auf Bühnen, vor der Kamera und auf der Leinwand?
GIORGIO MADIA: Auch wenn es auf der Leinwand etwas besser ist als im Theater, liegt die Sichtbarkeit inklusiver Darstellerinnen und Darsteller in den Händen der Regisseur:innen und Produktionsfirmen. Teilweise schlagen sie selbst ihre Vision vor, teilweise gehen sie auf die Nachfrage des Publikums ein. Wir hatten das Glück, uns bei der gemeinnützigen Organisation VIA Berlin zu treffen, die als Institution beschließt, in inklusive Kunst zu investieren, um mit meiner Hilfe eine Botschaft zu vermitteln, die sich alle zu Herzen nehmen sollten.
ELISABETH PLUM: Hier gilt dasselbe wie für die Inklusion im Publikum. Viele Bühnen, Theater und Fernsehstudios sind nicht barrierefrei und mit dieser Begründung werden behinderte Schauspielerinnen und Schauspieler immer wieder abgelehnt, weil der »Betreuungsaufwand« zu groß sei.
MICHAEL PIGL: Menschen mit Behinderungen und diversen Lebenshintergründen müssen selbstverständlich in Film- und Fernsehrollen mitbesetzt werden. Und zwar nicht mit dem Fokus, dass sie »trotz besonderer Einschränkungen« ihr Leben meistern, sondern kraft ihrer Persönlichkeit ihren Lebensweg gehen. Und auch nicht – wie es leider immer noch oft passiert – dafür herhalten müssen, um mit Positiv-Stereotypen wie die von stets gut gelaunten Down-Syndrom-Menschen, unempathische, verknöcherte Menschen zu retten. Herausragend ist für mich die argentinische Serie »1 Meter 20«, die in sechs Teilen der 17-jährigen Hauptdarstellerin Juana folgt, die ganz frei und aktiv ihre Sexualität erleben will. Dabei lässt sie sich nicht behindern – auch nicht von ihrem Rollstuhl. Gleichzeitig engagiert sie sich schulpolitisch im Kampf um Sexualkundeunterricht. Aus der Perspektive einer jungen Frau werden die Zuschauenden auf eine selbstverständliche Reise zu den Themen Inklusion, diverse Körperbilder, einvernehmlicher Sex und Selbstfindung mitgenommen. Ein wunderbarer Selbstermächtigungsprozess!
SILKE PAN: Inklusion bedeutet nicht, dass Künstlerinnen und Künstler, die ein durchschnittliches Niveau haben, als besonders dargestellt werden, nur weil sie eine Behinderung haben. Die Schwierigkeit für Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung ist die gleiche wie für Nichtbehinderte: Sie müssen den Stil und die Performance finden, die den Erwartungen der Regie entsprechen, um damit die Qualität der Aufführung oder des Films zu erhöhen. Ein Regisseur oder eine Regisseurin wird Künstlerinnen und Künstler engagieren, wenn er bzw. sie an ihnen ein Interesse findet. Daraufhin wird man Lösungen suchen, um Zugänglichkeit zu schaffen, falls die Behinderung der Künstlerinnen oder Künstler dies erfordert.
Welche gesellschaftlichen und politischen Forderungen stellst Du?
SILKE PAN: Die Zugänglichkeit sollte kein Hindernis mehr sein. Wenn eine Direktion an den Qualitäten einer Künstlerin oder eines Künstlers mit Behinderung interessiert ist, sollte diese in diesem Moment Barrierefreiheit herstellen können. Wenn man die Inklusion fördern will, sollte man die Unternehmer:innen nicht entmutigen, indem man sie alleine lässt. Man sollte ihnen Lösungen zur Verfügung stellen, um Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung einstellen zu können.
ELISABETH PLUM: Der Abbau diskriminierender Vorschriften der Versammlungsstättenverordnung wäre ein Punkt. Die Umsetzung des Artikel 30 der UN-Behindertenrechtskonvention zur kulturellen Teilhabe. Dieser Artikel ist seit dem 26. März 2009 geltendes Recht in Deutschland. Hier geht es um die Auflösung der Unterscheidung von Betroffenen (Menschen mit Behinderung) und Nichtbetroffenen (Menschen ohne Behinderung), denn Inklusion kann allen nutzen.
GIORGIO MADIA: Eine stärkere institutionelle finanzielle Unterstützung würde die »gläserne Decke« durchbrechen, sodass in Zukunft gar keine Unterstützung mehr notwendig wäre, wenn die Praxis zur Selbstverständlichkeit wird.
MICHAEL PIGL: Der Name Sonnen-STICH ist Programm. Die Artistinnen und Artisten fordern mit Humor und großem Ernst ihre Rechte ein. Sie wünschen sich RESPEKT – und definieren das mit großer inhaltlicher Tiefe und Weisheit von ihren eigenen Worten. Und sie sehen sich als STICH für die Gesellschaft. Sie wissen um ihre Rechte – auf Bildung, Beruf, Anerkennung und Mitgestaltung. Zentral ist die räumliche und finanzielle Ausstattung von Bildungs- und Kulturinstitutionen, die es ermöglicht, dass alle Menschen einen Schulabschluss und eine Ausbildung entlang ihrer Potenziale und Kompetenzen machen können. In unserem Zentrum für bewegte Kunst sind wir mit dem Projekt »Die Bewegungsbotschafter« mitten in der Durchführung eines vierjährigen beruflichen Qualifizierungsmodells für Menschen mit Trisomie 21. Dabei stehen wir kurz davor, einer 25-jährigen Artistin mit Trisomie 21 bereits ab Oktober 2023 eine feste Arbeitsstelle auf dem ersten Arbeitsmarkt einzurichten. Und wir arbeiten daran, für weitere Sonnenstich-Artist:innen Arbeitsplätze in unserem Zentrum für bewegte Kunst zu schaffen.